Vorwort:

Es war kurz nach der Buchmesse, als ich im Wohnwagen auf dem Campingplatz saß und mich die Idee dieser Geschichte einfach so überrannt hat. Innerhalb weniger Tage waren die ersten Kapitel fertig, irgendwie ist alles nur so aus mir herausgeflossen. Verrückt.
Bewusst habe ich mich für den Boss-Romance Bereich entschieden, doch wenn man genau hinsieht, ist sowohl dieser erste Teil der „Sharks of New York“-Reihe, wie auch mein New York Lawyer keine typische Boss-Romance. Es gibt keine Spice-Szenen, und die Stimmung ist – wie bei all meinen Romanen – eher locker, humorvoll mit Wohlfühlfaktor.
Vielleicht sollte ich irgendwann die Cover anpassen, wenn ich einen Coverstil gefunden habe, der genau das vermittelt, was meine Geschichten mit sich bringen. Aber wie so vieles, ist der Moment zum Zeitpunkt dieser Worte noch nicht gekommen.

Aber genug geschrieben, jetzt düft ihr in die Geschichte schnuppern:

Leseprobe:

Kelly

Gut gelaunt drücke ich die alte Schwingtür zu dem hohen Gebäude auf. Kalter Wind begleitet mich ins Innere, die beiden heißen Kaffeebecher wärmen meine Hände. Ein kurzer, prüfender Blick durch das altmodische Foyer, doch alles ist wie immer. Das entspannt mich sofort.

»Guten Morgen, Sonnenschein!« Freudestrahlend empfängt mich Ernie, der Nachtwächter. Seine Augen sind müde. Stundenlang hat er hier gesessen und die kleinen Bildschirme angestarrt, die das Apartmentgebäude überwachen. Unter seiner dunklen Mütze stehen graue Haare heraus, die – wie seine Frau wohl sagen würde – mal wieder viel zu lang sind.

Ich reiche ihm einen der beiden Becher und erwidere das Lächeln. »Guten Morgen. Wie war die Nacht? Gab es neue Entwicklungen in der Elf?« Verschwörerisch lehne ich mich über den Empfangstresen und versuche, einen Blick auf den Bildschirm zu erhaschen.

»Leider nicht.« Mit einem Seufzen erhebt sich Ernie von dem alten Drehstuhl, der ein sattes Knarzen von sich gibt. »Ich befürchte, er kommt nicht zurück.«

»Schade.« Ich lasse den dunkelroten Wintermantel von meinen Schultern gleiten und gehe um den Tresen herum. Auf der elften Etage ist immer etwas los. Das Paar, das dort lebt, trägt sämtliche Diskussionen im ganzen Gebäude aus, sodass wir alles mitbekommen, ob wir wollen oder nicht. Es ist ein bisschen wie eine Serie im Trash-TV, nur besser.

Nachdem ich Mantel und Handtasche im angrenzenden Aufenthaltsraum verstaut habe, lasse ich mich auf den Stuhl fallen, der noch ganz warm von Ernies gut gepolstertem Po ist.

»Keine Sorge, hier passiert bald so Einiges«, brummt Ernie und nippt an seinem Kaffee.

»Was denn?« Neugierig wie ich bin, braucht es nicht viel, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen. »Hast du was beobachtet?«

Das Haus, in dem wir arbeiten und in dem ich auch lebe, ist eines dieser Gebäude, in denen viele Apartments zu horrenden Preisen vermietet werden.

Wie ich es mir leisten kann, hier zu wohnen? Gar nicht. Aber mein Großvater war schon vor mir hier Portier und seitdem wir in einer kleinen Wohnung im Mitarbeiterbereich in der ersten Etage. Sie gehört quasi zu unserem Arbeitslohn. Dass ich mit meinem Grandpa in einer WG lebe, macht mir nichts aus. Es gibt keinen besseren Mitbewohner, denn er kann hervorragend kochen. Leider ist er aber auch ein ziemlicher Chaot.

Ernie lässt sich mit seiner Antwort Zeit, um mich zu quälen. Er weiß ganz genau, wie er die Spannung oben hält.

Auffordernd sehe ich ihn an. »Nun spuck es schon aus!«

»Na gut. Also, das Gebäude hat einen neuen Besitzer gefunden. Wurde wohl schon letzten Monat offiziell verkauft.« Seine Augen leuchten vor Aufregung. »Ich habe auch einen Namen zum neuen Besitzer.« Er deutet auf den Arbeits-PC, auf dessen Bildschirm die aktuelle Uhrzeit hin- und herpendelt.

»Was? Schon letzten Monat? Warum wissen wir nichts davon?« Da ich keine Antwort von Ernie erwarte, werde ich herausfinden, wer der neue Eigentümer ist. Sofort bewege ich die Maus, der Bildschirmschoner verschwindet und vor mir sehe ich einen Artikel über einen grauhaarigen Geschäftsmann. »William Holden«, lese ich leise vor und überfliege den Text. Als ich fertig bin, ziehe ich mein Fazit: »Holden Solutions besitzt Bürokomplexe und dieser Kerl ist ein knallharter Geschäftsmann. Ich schätze mal, dass er nicht an einer Vermietung von alten Apartments interessiert ist.«

»Genau.« Zustimmend nickt Ernie. »Er hat vor, alles von Grund auf zu sanieren und moderne Büroräume aus unserem gemütlichen Wohngebäude zu machen. Das Apartment auf dem Dach soll als einziges als Wohnraum erhalten bleiben.«

»Das Penthouse steht doch eh leer.« Nachdenklich öffne ich die Datenbank auf dem PC.

»Die beginnen schon heute mit den Renovierungsarbeiten.« Ernie kratzt sich unter seiner Mütze am Kopf. Dabei entblößt er sein graues, aber immer noch üppiges Kopfhaar. »Nächste Woche zieht sein Sohn hier ein.«

Fassungslos lehne ich mich an, sodass der Stuhl laut knarzt. »Woher weißt du das alles?«

»Ich wurde gestern Abend informiert, kurz nachdem du gegangen bist. Denke, dass sich mit dir auch noch jemand in Verbindung setzt. Unsere Verträge laufen noch so lange, bis die Bewohner des Hauses ausgezogen sind. Sie haben bis Ende des Jahres Zeit.« Ernie seufzt und trinkt seinen Kaffee leer. Wie immer frage ich mich, wie er das heiße Zeug so schnell runterkippen kann. Der Kerl hat einen Magen aus Stahl.

»Scheiße. Heißt das, wir müssen hier auch weg?« Bilder schießen mir durch den Kopf, wie Grandpa und ich in ein winziges Ein-Zimmer-Apartment einziehen.

Schulterzuckend wirft Ernie seinen leeren Becher in den Papierkorb. »Mit Glück können sie uns nach dem Umbau noch gebrauchen.«

»Aber warum haben sie hier gestern erst angerufen? Wir müssen das doch auch schriftlich bekommen.« Mir wird klar, dass dieser Brief vermutlich schon längst bei mir angekommen ist. »Ernie, hast du noch Zeit? Ich muss mal eben in die Wohnung zu Grandpa.«

»Klar. Ich halte die Stellung.« Er salutiert. Im Gegensatz zu sonst, entlockt er mir heute kein Schmunzeln damit.

Ohne Mantel haste ich ins Treppenhaus. Normalerweise nehme ich den äußeren Eingang, um durch den Haupteingang in das Gebäude zu kommen. Ich laufe um den Block, hole frischen Kaffee und habe so zumindest ansatzweise das Gefühl, nicht auf der Arbeit zu wohnen. Jetzt habe ich keine Zeit für diesen Umweg.

Das Treppenhaus wird eigentlich nie von irgendwelchen Bewohnern genutzt. Dafür gibt es Aufzüge. Unter dem Gebäude befindet sich zudem ein Parkdeck. Die wenigsten haben in New York ein eigenes Auto, die Möglichkeit eines abstellen zu können, haben die Erbauer damals aber für sinnvoll gehalten.

Meine Schritte hallen durch das leere Treppenhaus. Ich nehme zwei Stufen auf einmal, drücke die schwere Sicherheitstür zum Flur auf und stürze ihn bis zum Ende entlang. Vorbei an den Türen von Wohnungen, die unbewohnt und mit allerlei Krempel aus vergangenen Tagen vollgestellt sind. Am Apartment mit der Nummer drei bleibe ich stehen und hämmere wild gegen die Tür. Gleichzeitig greife ich mit der anderen Hand nach meinem Schlüssel, doch Grandpa ist schneller.

»Kelly? Hast du was vergessen?« Überrascht tritt er an die Seite und lässt mich herein.

»Nein. Haben wir vor kurzem einen Brief bekommen?« Zielstrebig laufe ich in die Wohnküche.

»Wir bekommen ständig Post. Meistens sind es Rechnungen.« Gelassen trottet er mit gebeugtem Rücken an mir vorbei und lässt sich auf seinen alten Sessel plumpsen.

»Erinnerst du dich an einen Umschlag von Holden Solutions?« Auf dem Schreibtisch türmen sich Briefe und Zettel. Flüchtig gehe ich alles durch, halte dabei Ausschau nach dem Namen und dem Logo, das ich zuvor bei William Holden gesehen habe.

»Weiß nicht, schon möglich. Schau mal auf dem Zu-erledigen-Stapel.«

Bei dem Zettelchaos weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Überfordert hebe ich beide Arme. »Und wo soll der bitte sein? Hier gibt es tausend Stapel.« So langsam werde ich nervös.

Abwinkend erhebt sich Grandpa und schlurft zu mir herüber. Ich gehe einen Schritt zurück, um ihm Platz zu machen. In aller Seelenruhe beugt er sich über den Schreibtisch, schiebt einige Stapel hin und her, bis er eine Metallablage hervorzieht. Darin liegen etliche ungeöffnete Briefe. »Da haben wir ihn.«

»Aber … seit wann liegen die da? Ich dachte, du schaust immer alles direkt durch und bezahlst die Rechnungen.«

»Ich dachte du machst das.« Fragend sieht er mich an.

Mir läuft es kalt den Rücken herunter. »Heißt das, dass wir seit Monaten keine Rechnungen mehr bezahlt haben? Oh, Grandpa. So ein Mist.« Ich dränge mich neben ihn und gehe die Briefe durch. Stromanbieter, Versicherungen, und dann entdecke ich das Logo von Holden Solutions. Den Umschlag reiße ich direkt auf und überfliege ihn. Er kam schon vor über einem Monat hier an. Beim Lesen wird mir schlecht. »Wir müssen bis zum Ende des Jahres hier ausziehen«, stottere ich. Das Schreiben ist allgemein gehalten und vermutlich an alle Bewohner gegangen.

»Was? Warum das?« Grandpa ist nun sichtlich verwirrt.

»Das Gebäude wurde an eine Firma verkauft, die aus den Apartments Büroräume machen will.« Zitternd falte ich den Brief zusammen. »Ich muss wieder zur Arbeit, Ernie will nach Hause. Wir reden heute Abend in Ruhe darüber, was wir jetzt machen. Okay?«

»Ja.« Abwesend nickt er.

Kurze Zeit später bin ich wieder bei Ernie und reiche ihm das Schreiben. »Wir müssen zum Ende des Jahres aus der Wohnung raus sein. Dann bin ich Wohnung und Job in einem los.« Verzweiflung überkommt mich mit einem Schwall Angst, die mich innerlich frieren lässt.

»Ach Kelly, warte mal ab. Wenn der neue Besitzer kommt, spricht er bestimmt noch mit uns. Die werden ja auch einen Empfang haben.« Ernie hat leicht reden, er sollte schon im Ruhestand sein. Nur wegen des Geldes macht er den Nachtdienst noch. Und weil er deutlich weniger kostet als richtiges Sicherheitspersonal, durfte er bleiben.

Meine Augen brennen und ich muss blinzeln, um nicht zu weinen. »Ich werde trotzdem nach einem neuen Job Ausschau halten.«

»Ich bin sicher, dass sich alles noch zum Guten wendet.«

Den gleichen Optimismus hätte ich auch gerne. »Wird sich zeigen. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag. Bis heute Abend, Ernie.«

Die Arbeit als Portierin ist im Normalfall nicht besonders kompliziert. Ich nehme Post entgegen, bin die erste Ansprechperson für Besucher sowie Handwerker und übernehme einige Hausmeistertätigkeiten, die eigentlich nicht in meinen Arbeitsbereich fallen. Das mache ich aber gerne, weil ich es von klein auf bei meinem Grandpa gelernt habe. Er wechselt heute noch Glühbirnen oder repariert Dinge, wenn die Bewohner es nicht selbst machen wollen und erhält somit ein kleines Taschengeld. Und das ist eigentlich immer der Fall. Sobald etwas kaputt geht, für das man mehr als ein Stück Klebeband benötigt, werde ich angerufen.

So wie auch heute wieder. Mit einer leisen Melodie meldet sich das kleine Telefon an meinem Tresen. Auf dem Display sehe ich die Apartmentnummer und den Namen. »Miss Tanner, was kann ich für Sie tun?« Ich weiß, dass es nicht ihr Partner sein kann, denn der ist noch bei der Arbeit. Joyce Tanner ist schätzungsweise in meinem Alter, Anfang Zwanzig. Seit einigen Jahren wohnt sie in der siebten Etage. Ihr Verlobter ist ein richtiges Arbeitstier und sie den ganzen Tag allein zu Hause. Ob sie von dort aus arbeitet, weiß ich nicht. Das geht mich nichts an. Obwohl sie auf mich immer etwas zerstreut und chaotisch wirkt, ist sie sehr sympathisch.

»Kelly? Irgendwas stimmt nicht mit dem Fernseher. Gestern Abend haben wir noch einen Film gesehen, aber jetzt bekomme ich gar nichts mehr an.« Ihre Stimme klingt ein wenig überfordert.

»Haben Sie den Fernseher schon aus und wieder angemacht?«, frage ich ruhig.

»Darauf hätte ich auch selbst kommen können. Moment …« Im Hintergrund höre ich, wie sie meiner Anweisung folgt. »Nein, immer noch nichts. Soll ich Rupert anrufen?«

Eigentlich ist mein Grandpa perfekt für solche Kleinigkeiten im Haushalt, aber bei der Technik hat er den Schritt in die Moderne verpasst. »Nein, ich bin gleich bei Ihnen.«

Nachdem ich den Hörer aufgelegt habe, mache ich mich auf den Weg zum Aufzug. Gerade als ich den Knopf drücke, klingelt es am Eingang. Den ganzen Vormittag war es ruhig und auf einmal wollen alle etwas von einem. Mit Schwung drehe ich mich um und greife auf dem Weg zur Tür nach meinem Schlüssel.

Durch das Glas erkenne ich zwei Männer, dahinter steht im Halteverbot auf der Straße ein Transporter. Das werden die Handwerker für das Penthouse sein, geht es mir durch den Kopf.

Ich lasse sie ein. »Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?«

»Wir wurden von Holden Solutions beauftragt, eine Wohnung zu renovieren.« Der ältere der beiden hat in seiner weißen Latzhose einen Zettel stecken, den er nun herausholt und mir reicht.

Es ist die Auftragsbestätigung. Zum Glück hat mich Ernie heute Morgen auf den neusten Stand gebracht, sonst müsste ich die beiden nun wegschicken. Trotzdem bin ich nicht begeistert von der Situation. »Kommen Sie rein. Den Wagen dürfen Sie da nicht stehen lassen. Ich lasse Sie gerne in die Tiefgarage, von dort kommen sie mit dem Aufzug bis ins Penthouse.« Reflexartig gehe ich im Kopf alles durch, die Handwerker sind zwar nicht eingeplant, aber ich bin ja flexibel.

Die beiden sehen sich an und nicken zustimmend.

»Kleinen Augenblick, ich gebe Ihnen eine Schlüsselkarte für beides.« Zurück an meinem Tresen öffne ich eine Schublade und entnehme eine weiße Karte mit magnetischem Streifen. Am Computer gebe ich ein, wofür die Karte genutzt werden soll, bestätige mit zweierlei Passwörtern und ziehe die Karte durch das Gerät, um sie zu aktivieren.

Mittlerweile steht einer der Männer vor mir, der andere sitzt bereits im Wagen. Seine weiße Latzhose ist bei genauerer Betrachtung eher grau und mit hellen Farbklecksen übersäht. Die Brille auf seiner Nase sitzt etwas schief, das dunkle lange Haar hat er zu einem groben Pferdeschwanz zusammengebunden.

Ich lege die Karte auf den Tresen. »Wenn Sie rechts vom Haus in die schmale Gasse einbiegen, kommen Sie in die Tiefgarage. Mit der Karte können Sie das Tor, den Aufzug und das Penthouse öffnen. Sie gilt jedoch nur heute. Wenn Sie fertig sind, kann ich Ihnen die Freigabe für die nächsten Tage aufspielen. Wissen Sie schon, wie lange Sie für die Renovierung benötigen?«

»Kann ich erst sagen, wenn ich mir alles angesehen habe. Angeblich muss nicht viel gemacht werden. Ich sage Ihnen nachher Bescheid.« Lächelnd nimmt er die Karte. »Dankeschön.«

»Gerne. Wenn etwas ist, kommen Sie einfach über den Fahrstuhl ins Erdgeschoß. Ich muss noch etwas erledigen, aber bin spätestens in einer halben Stunde wieder auf meinem Posten.« Nachdem er das Gebäude verlassen hat, sperre ich den Pausenraum hinter dem Tresen zu. Den PC melde ich ab, damit sich keiner daran zu schaffen machen kann, der nicht berechtigt ist. Außerdem schließe ich die Schubladen ab. Alles reine Vorsichtsmaßnahmen. Vor allem, wenn Fremde im Haus sind, gehe ich lieber auf Nummer sicher. Mein Grandpa war da immer etwas paranoid, das hat sich bei mir eingebrannt.

Wenig später drücke ich erneut die Aufzugtaste. Als der Fahrstuhl hält und sich die Türen öffnen, stehen die beiden Handwerker darin, der kleine Raum vollgepackt mit Farbeimern, einer Leiter und Kisten. Die beiden beginnen mir Platz zu machen, ich schüttle jedoch den Kopf. »Danke, ich nehme die Treppe.«

Während sich die Aufzugtür wieder schließt, laufe ich zum Treppenaufgang. Mir tut ein wenig Bewegung sicherlich gut. Dennoch stört es mich, dass heute nichts so läuft wie immer. Ich merke, wie ein unruhiges Kribbeln in mir aufsteigt, das meinen Puls in die Höhe treibt. Dieser blöde Brief hat mich vollkommen aus dem Tritt gebracht.

Meine Kondition habe ich ein wenig überschätzt. Japsend ziehe ich mich die letzten Treppenstufen nach oben, bis ich endlich im Siebten ankomme. Im Flur lehne ich mich keuchend gegen die Wand und versuche, meinen Atem zur Ruhe kommen zu lassen. Ich schwitze und zupfe an meiner weißen Bluse, um ein wenig Luft hineinzulassen. Meine Wangen sind warm, aber ich habe keine Zeit mehr zu warten, bis ich vollkommen vorzeigbar aussehe. Miss Tanner nimmt es zudem nicht so genau. Sie kennt mich und meinen Grandpa schon seit vielen Jahren.

Als Miss Tanner die Tür öffnet, betrachtet sie mich kurz von oben bis unten. »Ist der Fahrstuhl etwa kaputt?«

Mit einem höflichen Lächeln schüttle ich den Kopf. »Nein, aber es sind Handwerker im Haus, die ihn mit allerlei Werkzeug besetzt haben. Daher bin ich gelaufen.«

»Herrje. Kann ich Ihnen ein Wasser anbieten?« Besorgt tritt sie an die Seite. Mich empfängt die Wärme der Wohnung, die den Duft nach Zimt mit sich trägt.

»Nein, danke. Ist es der Fernseher im Wohnzimmer, den ich mir anschauen soll?« Fragend schaue ich mich um. Rechts im Flur hängt ein riesiges gerahmtes Bild von ihr und ihrem Verlobten vor dem Eiffelturm. Mein Blick bleibt daran hängen.

»Das war letztes Jahr in Paris, dort hat Brian mir den Antrag gemacht. Es war wie in einem Traum.« Versonnen lächelt sie bei dem Anblick dieser Erinnerung. Dann macht sie mit der Hand eine einladende Geste. »Ja, im Wohnzimmer ist der Fernseher kaputt.«

Ich folge ihr in den großen Raum. Eine Seite besteht aus bodentiefen Fenstern, die das Tageslicht hereinlassen. Von hier aus sieht man das rege Treiben auf der Straße. Gegenüber wird der Blick jedoch von anderen Gebäuden versperrt. Zumindest ist die Sicht deutlich besser als im ersten Stockwerk, davon abgesehen ist das Interieur viel kostspieliger als bei Grandpa und mir. Ansonsten ist ihre Wohnung spiegelverkehrt zu unserer.

Zuerst fällt mir das knallrote Sofa ins Auge, das den Raum dominiert. Darauf liegen bunte Kissen, die so gar nicht in die ansonsten feine Einrichtung passen.

»Ich brauchte wenigstens einen Farbklecks«, sagt Miss Tanner errötend.

Ich muss lächeln. »Es ist süß, würde mir für meine Wohnung auch gefallen.«

»War auch gar nicht so teuer.« Verschwörerisch zwinkert sie. »Aber lassen Sie bloß nicht meinen Verlobten erfahren. Der denkt, es sei ein teures Designerstück.«

Fast muss ich laut loslachen, aber dann wird mir bewusst, dass sie es vollkommen ernst meint. Schnell konzentriere ich mich wieder auf die Arbeit. Der Fernseher hängt an der Wand, darunter steht ein schwarzes Regal mit Glastüren, in dem sich weitere elektronische Geräte befinden. Auf dem Regal liegt eine kleine schwarze Fernbedienung, die ich mir schnappe.

Zuerst überprüfe ich, ob der Fernseher richtig eingesteckt ist, dann drücke ich den Powerknopf. Der Bildschirm flimmert auf bleibt aber blau. Ich drücke ein wenig auf den Tasten herum, doch nichts passiert.

»Ich sag doch, er ist kaputt.« Miss Tanner seufzt.

»Nein, das glaube ich nicht. Geben Sie mir ein paar Minuten.« Wieder gehe ich zu dem Fernseher und schaue mir nun alle Kabel an, die von ihm wegführen. Angeschlossen sind ein Internetstick und eine Spielekonsole. »Ahaa«, murmele ich und klicke die Kanäle durch. »Da haben wir es doch! Hat Ihr Mann nach dem Fernsehen noch auf der Konsole gezockt?«

Unsicher zuckt Miss Tanner mit den Schultern. »Schon möglich. Ah, es geht ja wieder!« Erfreut klatscht sie die Hände zusammen. »Sie sind ein Engel, Kelly!«

»Ach was. Das war kein Problem.« Abwinkend lege ich die Fernbedienung auf dem Tisch ab. »Habe ich gerne gemacht.«

»Sie sind meine Rettung. Ich kann Brian doch nicht wegen solch einer Kleinigkeit auf der Arbeit anrufen. Und gleich kommt meine Lieblingsserie. Wie kann ich Ihnen dafür nur danken?«

In der Befürchtung, sie wird mir nun Geld geben wollen, winke ich nochmal ab. »Schon gut. Keine Ursache.«

»Nein, nein. Ich bin Ihnen etwas schuldig. Moment. Ich weiß schon was.« Sie öffnet einen Schrank und drückt mir eine Packung Pralinen in die Hand. »Nach einem Stück Schokolade sieht die Welt schon viel besser aus, sagt meine Mom immer.«

Sie kann sich ja gar nicht vorstellen, wie sehr ich diese Schokolade heute brauchen kann.

Edward

Ich hasse Dienstage. Vor allem, wenn sie so schlimm starten, wie dieser. Nicht nur, dass mein Wecker nicht geklingelt hat, weil der Handyakku leer war, mein Flug ist auch noch ausgefallen. Bis ich endlich einen Ersatzflug bekam, sind wertvolle Stunden vergangen. Nun versuche ich, während wir durch die Lüfte gleiten, alles für die Präsentation vorzubereiten. Mein Vater hat mir mal wieder viel zu spät alle wichtigen Informationen zukommen lassen. Und wer steht wie ein Idiot da? Ich.

Also hämmere ich wie wild auf der Tastatur herum, um alles in die perfekte Form zu bringen, damit ich nicht wie ein unwissender Frischling wirke. Immer wieder schaue ich dabei auf die Uhr. Die Zeiger ticken und wenn ich lande, habe ich nur ein winziges Zeitfenster, um mich umzuziehen. Mein Vater hat mir versichert, ich kann heute noch ins Penthouse unseres neuen Gebäudes ziehen. Für Möbel hat er gesorgt, die wichtigsten Dinge aus meiner alten Wohnung habe ich im Koffer bei mir. Alles andere wird in einigen Tagen mit einer Spedition nachgeliefert.

Als wir wenig später zur Landung ansetzen, klappe ich genervt den Laptop zu. Fertig bin ich nicht geworden. Mir fehlen noch einige Seiten, die ich gleich auf dem Weg in mein neues Apartment einfügen werde. Die Landung ist etwas unsanft, aber wir haben es geschafft. Laut Zeitplan habe ich noch zwei Stunden, um alles ins Penthouse zu bringen, mich umzuziehen und frisch zu machen. Das sollte machbar sein. Der Hauptsitz unserer Firma ist nicht weit entfernt, sodass ich den Weg am besten zu Fuß zurücklege.

Endlich steht das Flugzeug, die Business-Class darf zum Glück als Erstes aussteigen. Zügig eile ich vornweg durch die Gangway ins Gebäude und zu den Gepäckbändern.

Ich warte und warte. Unruhig wippe ich von einem Bein auf das andere, schaue immerzu auf die Zeit, die mir davon rinnt und überlege, ob ich hier den Laptop auspacken soll, als endlich die ersten Koffer angefahren werden. Ich stelle mich direkt an den Beginn des Bandes, lehne mich nach vorne, um sofort zugreifen zu können. Doch er kommt nicht. Zusehends mehr Gepäckstücke werden aufgeladen, mein Koffer ist nicht dabei. Was zum Teufel ist da los? Mein Blick wandert zu der Anzeigetafel, doch ich bin richtig. Es ist die korrekte Flugnummer. Außerdem erkenne ich einige der Leute, die bei mir im Flugzeug saßen.

Irgendwann fahren nur noch einzelne Stücke im Kreis und ich bin der Einzige, der herumsteht und sein Gepäck noch nicht bekommen hat. Wütend halte ich nach jemandem Ausschau, der mir erklären kann, was das soll. Ich bin schon eine halbe Stunde in Verzug, die Zeit läuft.

Ein Wachmann patrouilliert in einiger Entfernung und ich presche auf ihn los. »Einen Moment! Mein Koffer ist nicht angekommen!«

Der Mann vom Sicherheitspersonal blickt an mir vorbei. »Waren Sie am richtigen Ausgabeband?«

»Natürlich! Ich habe es eilig und brauche dringend meine Sachen.« Zur Verdeutlichung tippe ich auf meine goldene Rolex, die mir mein Vater zum 21. Geburtstag geschenkt hat.

»Tut mir leid. Vermutlich ist er verloren gegangen. Das kommt schon mal vor.« Desinteressiert zuckt er die Schultern und geht weiter.

»Das kommt schon mal vor?«, äffe ich ihn nach. In mir brodelt es. Wütend stapfe ich ihm hinterher, bis ich aufschließe. »Ich habe keine Zeit für diesen Scheiß. Wie komme ich an meinen Koffer?«

Der Mann hält inne und seufzt genervt. »Sie müssen einen Zettel ausfüllen und ihn dann …«

»Haben Sie mir gerade nicht zugehört?« Nun brülle ich ihn an, was mir unheimlich leid tut. Aber die Wut über die verlorene Zeit und diese blöde Präsentation, die immer noch nicht fertig ist, lassen mich meine guten Manieren vergessen. Oder vielmehr lassen sie mich so werden, wie mein Vater. Aufbrausend und laut. Ich schlucke meine Verzweiflung hinunter, winke ab und drehe mich um. Jemand anderes muss sich darum kümmern. Ich muss los, sonst komme ich zu spät.

In der Empfangshalle halte ich nach meinem Fahrer Ausschau. Bis auf einige Familien steht hier jedoch niemand mehr. Genervt greife ich nach meinem Handy und drücke die Kurzwahltaste.

Mein Vater meldet sich mit einem »Wo steckst du? Du solltest doch mindestens eine Stunde vorher hier sein.«

Als hätte unser Telefonat heute Morgen nie stattgefunden. »Ich bin am Flughafen. Mein Ersatzflug ist vorhin gelandet. Mein Koffer fehlt und von dem Fahrer ist auch nichts zu sehen.«

»Wie auch, der war heute Vormittag um elf da.«

Schnaubend schwanke ich zwischen Fassungslosigkeit und Wut. »Was soll das heißen?«

»Dass du dir jetzt ein Taxi nimmst und sofort losfährst. In der 1457 wartet ein Anzug auf dich. Beeil dich, damit du noch pünktlich zur Präsentation kommst.« Dann legt er auf.

Ich würde am liebsten meinen Frust herausbrüllen, stattdessen fluche ich nur vor mich hin und schiebe das Handy in meine Jacketttasche. Also ab in unser neues Gebäude, das nur nach seiner Hausnummer, der 1457 benannt wird, hoch ins Penthouse, umziehen und von dort aus direkt zur Präsentation.

Zum Glück bekommt man in New York am Flughafen immer ein Taxi. Ich nehme das Erste, das ich kriegen kann, schwinge mich auf die Rückbank und gebe dem Fahrer die Adresse. Dann packe ich meinen Laptop aus, um die restliche Präsentation vorzubereiten. Es ist gar nicht so leicht zu tippen, denn der Wagen rast nur so durch die Straßen. Zumindest so lange, bis wir in den ersten Stau kommen. Immer wieder blicke ich auf die Uhr.

»Wie weit ist es noch bis zur Adresse?«, frage ich mit einem Blick auf die Karte, die mir der Bildschirm aufder Rückbank anzeigt.

»Drei Blocks etwa.«

Ich wäge ab, ob ich laufen oder warten soll. Wir bewegen uns keinen Schritt vorwärts, also packe ich meinen Kram wieder ein. »Was bekommen Sie? Ich laufe den Rest, ich habe es eilig.«

Wenig später renne ich zwischen Passanten, vorwiegend Touristen, durch die Straßen New Yorks. Ich mag das rege Treiben der Großstadt nicht besonders, trotzdem fühlt sich diese Stadt jedes Mal nach Zuhause an. Ich bin hier aufgewachsen und werde die nächste Zeit wieder hier leben. So wie es mein Job von mir verlangt.

Dicke Regentropfen platschen auf mich herab. Ein Blick gen Himmel reicht, um die dunkle Wolkenfront zu erhaschen, die auf mich zurollt. Den Regenschirm habe ich natürlich im Koffer und der ist irgendwo, nur nicht hier. Womöglich nicht einmal in diesem Staat.

Trotz meines schnellen Schrittes kann ich den Regen nicht abhängen. Immer mehr Tropfen treffen mich und durchnässen innerhalb kürzester Zeit meine Kleidung und die Schuhe. Wasser läuft mir den Nacken herunter, hinein in meine Kleidung. Bald habe ich mein Ziel erreicht. Hier muss es doch irgendwo sein.

Nach den Hausnummern suchend, bin ich froh, als ich endlich den Eingang zu unserem neuen Gebäude erreiche. Ein altmodischer Wohnkomplex, der aber in einer recht guten Lage in New York steht. Die Fassade ist soweit noch in einem akzeptablen Zustand, jedoch wird auch hier noch einiges erneuert werden.

Triefnass stürme ich ins Innere. Kurz erfasse ich die Lage. Ich befinde mich im Eingangsbereich des Wohnkomplexes, den ich in wenigen Monaten komplett erneuere und modernisiere. Aus Wohnungen werden Büroräume, aus dem altmodischen Foyer eine moderne Eingangshalle.

Die goldbemalten Wände strahlen eine altbackene, muffige Wärme aus. Neben dem Eingang gibt es einen kleinen Sitzbereich, der mit Möbeln aus dem letzten Jahrhundert bestückt ist.

Hinter dem Tresen sitzt eine junge, hübsche Frau mit braunen Locken, die mich fragend anblickt. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Ja, das können Sie!«, poltere ich sofort los. »Ich brauche den Schlüssel zum Penthouse.«

»Sie sind …?«

Weiß sie das etwa nicht? »Edward Holden. Wer denn sonst?« Ungeduldig blicke ich erneut auf die Uhr. Scheiße. Die Zeit läuft mir davon.

»Ich glaube nicht, dass es in Ihrem Interesse ist, wenn ich jedem, der nach dem Schlüssel verlangt, diesen auch gebe. Zumindest wenn es stimmt, was Sie sagen und Sie der neue Besitzer sind«, erwidert sie mit einem Grinsen.

»Nun geben Sie schon her! Oder wollen Sie meinen Ausweis sehen?«

»Das würde ich tatsächlich gerne.«

Ihr aufmüpfiger Blick ist attraktiv, aber für solcherlei Scherze habe ich gerade keine Zeit. »Verdammt noch mal. Haben Sie sich etwa nicht erkundigt, wem dieses Gebäude gehört?« Ich starre sie über die Theke hinweg finster an. Um an mein Ziel zu gelangen, muss ich hin und wieder etwas strenger sein. So habe ich es vom besten Geschäftsmann gelernt, den ich kenne: meinem Vater.

Nicht besonders eingeschüchtert will sie etwas erwidern, doch ich unterbreche sie, indem ich meine Hand aufhalte. »Den Schlüssel!«
»Aber das Pent-«

»Gehört jetzt mir. Goldrichtig. Schlüssel!«, fordere ich noch einmal etwas drängender.

Sie gehorcht und händigt mir eine rot-goldene Schlüsselkarte aus. »Wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf –«

Wieder unterbreche ich sie harsch. »Darauf kann ich verzichten!« Mit jedem Schritt hinterlasse ich eine nasse Spur auf dem weinroten Teppich, der unbedingt als Erstes herausgerissen werden muss.

Bevor ich die Aufzugtaste drücke, drehe ich mich noch einmal zu ihr herum. »Eins noch! Finden Sie meinen Koffer!«

Im Aufzug atme ich auf und lehne mich an die verspiegelte Wand. Endlich im Trockenen. So sehr wie heute habe ich mich lange nicht mehr auf meinen Feierabend gefreut. Bis dahin steht mir aber erst noch eine wichtige Präsentation bevor.

Im obersten Stockwerk angekommen, empfängt mich im Flur eine Spur aus Eimern und Werkzeug. Die Tür zum Penthouse steht offen und ich höre Geräusche von innen. Irritiert schaue ich mich um, als ich durch die Eingangstür trete. Der Flur ist komplett leer, ebenso die anderen Räume. Es ist hell und aus der verglasten Wohnzimmerfront führt eine Tür auf die Dachterrasse. Durch den Regen ist der Blick über die Stadt getrübt, aber der interessiert mich auch weniger als die Tatsache, dass hier keinerlei Möbel stehen. »Wo sind meine Sachen?«

Obwohl meine Frage an niemand konkreten gerichtet ist, bekomme ich eine Antwort von einem der beiden Männer, die in der angrenzenden Küche die Tapete abreißen. »Na, die kommen erst nach uns hier rein.«

Scharf sauge ich die staubig riechende Luft ein. »Und wann ist das?«

»Vermutlich nächste Woche. Hier ist noch einiges zu tun.«

»Nein!«

Der Kerl mit der weißen Latzhose lacht. »Doch.«

»Aber ich …« Die Frage, wo ich nun wohnen soll, stelle ich dem Kerl besser nicht. Noch so eine freche Antwort ertrage ich nicht. Dann verliere ich vollkommen die Fassung. Tief atme ich durch, um mich etwas zu beruhigen. Eins nach dem anderen. »Haben Sie meinen Anzug gesehen?«

»Schauen Sie sich ruhig um. Das wird schnell gehen. Hier ist nichts.« Mit dem Spachtel kratzt er weiter über die Wand.

Trotzdem schaue ich in jeden Raum. Auch im Badezimmer sieht es aus, als würde es noch eine Weile dauern, bis ich einziehen kann. Die Armaturen fehlen komplett, einige Fliesen sind gerissen. Weder Dusche noch Badewanne sind vorhanden.

Kopfschüttelnd verlasse ich das Penthouse. Eigentlich sollte ich hier einziehen, aber so, wie es hier aussieht, kann ich das in absehbarer Zeit vergessen.

Ob die Frau im Foyer das gewusst hat? Warum hat sie mich nicht informiert? Oh, stimmt ja, ich habe sie nicht ausreden lassen.

Als ich wieder unten ankomme, sitzt sie immer noch hinter dem Tresen und sieht auf, als ich näherkomme.

Sofort erhebe ich die Stimme: »Warum ist das Penthouse noch nicht fertig? Und wo ist mein Anzug?«

»Die Firma hat erst heute Morgen mit der Renovierung begonnen.« Ihre Stimme ist freundlich. Sie steht auf und holt etwas aus dem Raum, der hinter dem Tresen ist. »Der Anzug ist vermutlich dieser hier.« In ihrer Hand hält sie einen Kleidersack.

Na, wenigstens etwas läuft hier nach Plan. »Wo kann ich mich umziehen?«

Nun grinst sie mich frech an. »In Ihrem Penthouse?«

Genervt erwidere ich den Blick. »Ihr Ernst?«

»Sie können gerne den Mitarbeiterraum hier benutzen. Es gibt auch eine Toilette mit einem Spiegel, wenn Sie sich frisch machen möchten.« Mit der Hand deutet sie auf das Zimmer hinter sich, aus dem sie zuvor meinen Anzug geholt hat.

Während ich um den Tresen herumlaufe und den Kleidersack in dieselbe Hand wie die Laptoptasche nehme, deute ich mit dem Finger auf sie. »Haben Sie meinen Koffer gefunden?«

»Von was für einem Koffer reden Sie da überhaupt?«

Da fällt mir ein, dass sie gar nicht wissen kann, dass er verloren gegangen ist. »Mein Koffer ist nicht am JFK angekommen.« Ich lege alles in den Nebenraum und krame aus meiner Jackentasche den Boardingpass hervor. »Hier, das war mein Flug.« Das Zettelchen drücke ich ihr in die Hand.

»Sie wissen schon, dass das nicht meine Aufgabe ist?«

Ebenfalls weiß ich, dass ich nicht weiß, wen ich sonst beauftragen kann. Der Schlafmangel und die heutigen Umstände haben meine Nerven zum Zerreißen gespannt. »Sind Sie immer so patzig zu Ihrem Boss? Außerdem scheinen Sie ja nicht gerade in Arbeit zu versinken. Wenn Ihnen Ihr Job lieb ist, dann besorgen Sie mir jetzt meinen gottverdammten Koffer!«

Damit ziehe ich die Tür hinter mir zu. Wieder muss ich tief durchatmen. Ich schaue auf meine Uhr und sehe, dass schon wieder viel zu viel Zeit verstrichen ist. Gewiss schaffe ich es nicht mehr rechtzeitig zum Meeting.

Nachdem ich mich umgezogen habe, versuche ich mich im Bad fertig zu machen. Mit nichts als Wasser und Seife komme ich da nicht weit. Eigentlich müsste ich die Zottel meines Barts stutzen, und besonders frisch fühle ich mich auch nicht. Meine Haare stehen durch den Regen in alle Richtungen und allein mit Wasser bekomme ich sie nur schwer in Form. Eine Haarsträhne hält sich hartnäckig nicht an meine Vorgaben. Genervt gebe ich es auf und trete zurück in das Foyer.

Der Lockenkopf sitzt immer noch da und scheint am Telefon in der Warteschleife zu hängen. Sie mustert mich von Kopf bis Fuß und hebt einen Daumen. Diese Bestätigung hätte ich nun nicht gebraucht, sie bringt mich aber zum Schmunzeln. Schnell werfe ich einen Blick auf ihr Namensschild, dann deute ich auf die Tür. Draußen regnet es immer noch in Strömen.

Kelly Shepherd hebt ihren Zeigefinger, rollt mit dem Stuhl zur Seite, wobei sich das gekringelte Telefonband des altmodischen Apparates spannt. Aus einem Metallständer zieht sie einen knallroten Regenschirm.

Mit Schirm in der einen und dem Laptop in der anderen Hand hetzte ich zu Fuß zum Hauptsitz unserer Firma. Wie vorhergesehen komme ich zu spät.

Als ich den Besprechungsraum betrete, sitzen bereits alle an dem großen runden Tisch und hören meinem Vater bei seinem Vortrag zu. Er wirft mir einen missbilligenden Blick zu, als ob er nicht gewusst hätte, dass so etwas passieren würde. Er sagte, ich kann direkt ins Penthouse einziehen. Hätte er mir erzählt, dass dort noch gar nichts fertig ist, hätte ich mir den Weg sparen können und wäre gleich hergefahren.

»Nun, da mein Sohn auch endlich angekommen ist, kann er gleich starten«, begrüßt mich mein werter Vater William Holden, oberster Geschäftsführer von Holden Solutions. Nachdem wir uns zwei Jahre nicht mehr persönlich gesehen haben, setzt er sich mit regloser Miene auf seinen Platz und überlässt mir das Ruder.

»Guten Tag zusammen. Verzeihen Sie die Verspätung. Es gab Probleme mit meinem Flug.« Entschuldigend lächle ich und baue meinen Laptop auf, um die Präsentation zu beginnen.

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